Es gibt viele Gründe, um Streifzüge über die Insel zu unternehmen. Antrieb dafür kann beispielsweise die Vielfalt der Architektur sein. Mit ihr verbinden sich auf den pommerschen Inseln Rügen und Hiddensee Namen wie Karl Friedrich Schinkel (1781-1841), Friedrich Hitzig (1811-1881) oder Max Taut (1884-1967). Nun rückt jedoch auch der Binzer Ulrich Müther (1934-2007) wieder stärker in unseren Blickpunkt. Anlaß dafür ist u.a. die Sanierung von zwei seiner Rügener Bauten mit finanziellen Mitteln der Wüstenrot-Stiftung. Vielleicht Grund genug zu einem Streifzug auf den Spuren des Landbaumeisters von Rügen...
Wir wollten unseren Streifzug diesmal an einem Donnerstag beginnen. Es war gegen 5 Uhr und wir starteten unsere Erkundung an der Schaabe bei Glowe. Diesmal mit dabei auch ein Kameramann und eine Fotografin, denn: Parallel soll es Aufnahmen zu einem Film geben. Allerdings wird alleine das Aufsuchen der Standorte der verschiedenen Müther-Bauten ganze zwei Tage beanspruchen.
Nun hätte natürlich ein Sonnenaufgang an der Tromper Wiek unseren Tag verschönert, aber noch schieben sich dicke und teils dunkle Wolken über die Insel. Trotzdem hebt sich die 20 x 20 m hohe Schale - gleich einem Segel über die Düne. Wievielen Gästen sie wohl schon Schutz vor Regen oder Sonne als Gaststätte gegeben hat? Das lässt sich kaum schätzen, denn seit 1968 überspannt die nur etwa 7 cm starke Schale hunderte von Plätzen am Strand von Glowe...
Unser nächstes Ziel ist die Schmwimmhalle des Rügen-Hotels. Das Haus mit Restaurant und Bar wurde 1969 nach dem Entwurf des Architekten Herbert Sander errichtet. Seeseitig gab es zunächst ein Schwimmbecken im Freien. Als dieses später überdacht werden sollte, erhielt Ulrich Müther 1977 dafür den Auftrag. Seine Lösung sah eine leicht gekrümmte Buckelschale mit vorgespannten Randbalken vor, die 1978 im Spritzbetonverfahren realisiert werden konnte. Dies ermöglicht heute nicht nur den Gästen des Hauses sondern auch den Rüganern einen Besuch des Hauses unabhängig von der Jahreszeit.
Für den Nachmittag hatten wir uns in Gingst angekündigt. Obgleich der Himmel immer noch etwas mit Wolken verhangen ist, zeigt die Sonne schon einmal ihre Strahlkraft, um die Gingster Sporthalle in ein schönes Sonnenlicht zu tauchen. Das 1985 errichtete Gebäude war ursprünglich als Prototyp für weitere Sporthallen gedacht. Doch es blieb bei der einen Ausführung: Hier überspannen zwei Buckelschalen die Einrichtung. Innenseitig ist die Decke sogar noch immer mit den originalen Holzfaserzementplatten verkleidet.
Bevor wir uns am Abend des 26. Aprils 2018 aber nach Binz aufmachten, nutzten wird das schöne Wetter für einen Besuch von Buschvitz. Hier - unweit von Bergen - findet sich eine Buswartehalle der besonderen Art. Bedingt durch einen Sturm, der den alten Vorgängerbau in Mitleidenschaft zog, erhielt Ulrich Müther den Auftrag für die Errichtung einer Buswartehalle. Wie schon bei anderen Enwürfen vom Binzer "Spezibau" war auch hier eine mutige Formgebung - bedingt durch das schalungslose Aufbringen des Spritzbetons - möglich. Obgleich auch diesem Prototypen eines neuen Funktionsbaus nur die Einmaligkeit seiner Erscheinung auf Rügen blieb, so ist er in der Gemeinde zweifelsfrei in guten Händen. Erst kurz vor unserem Besuch hatten die Einwohner zum "Subbotnik" aufgerufen und den auch liebevoll als "Taucherhelm" bezeichneten Bau, wieder in Schwung gebracht. Allerdings lässt das stetige Bemühen um dessen Erhalt nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier für die Zukunft auch eine grundsätzliche Sanierung notwendig wäre.
Am Abend des Donnerstags waren wir dann zur Enthüllung der Rettungsstation 2 eingeladen worden. Sie wurde 1981 aus zwei doppelt gekrümmten Schalen von etwa 5 cm Stärke zusammengesetzt und überspannt seither einen Raum von etwa 5 x 5 Metern. Da eine weitere Rettungsstation aus dem Jahre 1975 in den 90er abgerissen wurde, hat das Bauwerk heute ein absolutes Alleinstellungsmerkmal in Binz. Wie die Kurmuschel in Sassnitz wurde es mit finanzieller Unterstützung der Wüstenrot-Stiftung saniert. Das Foto von der Rettungsstation entstand übrigens kurz vor der feierlichen Enthüllung des Bauwerks am späten Abend des 26. Aprils 2018.
Noch im Anschluß an die Veranstaltung machten wir uns zum Ortsausgang in Richtung Prora auf. Hier befindet die Buswartestelle. Die doppelt gekrümmte Hyparschale, die ursprünglich als Versuchsschale für eine Hallenüberdachung diente, wurde lange Zeit als Dach einer Buswartehalle genutzt. Heute - nachdem die Unterbauten abgetragen sind - steht sie frei und zeigt die eigentliche Eleganz, um in diesem Falle eine Fläche von etwa 7 x 7 Metern zu überspannen. Im Gegensatz zu den schalungsfreien Bauten, die durch Ulrich Müther und seine Mitstreiter realisiert wurden, hatte diese Hyparschale noch eine Umsetzung durch Holzschalung erfahren. Deren Abdrücke von geraden Brettern zeichnen bis heute die Oberfläche an der Unterseite des Bauwerks...
Auch am darauffolgenden Freitag waren wir wieder früh unterwegs. Gleich am Morgen ging es dieses Mal zum Sonnenaufgang nach Baabe. Unser Ziel: Das Inselparadies. Die Gaststätte wurde in direkter Strandlage 1966 als Schirmschale errichtet und überdeckt mit einer Stärke von ca. 8 cm beinahe eine Fläche von 18 x 18 Metern. Bedingt durch das noch begrenzte Licht zeichnet sich der innere Teil der Schale leider nicht so deutlich ab, wie an vielen Nachmittagen im Sommer. Wer den auch heute als Gaststätte genutzten Bau besucht, wird sicher begeistert sein. Grund dafür ist immer wieder ein ungewöhnlicher Blick auf das Wasser der Ostsee.
Nur wenige hundert Meter davon entfernt befindet sich der einstige Buchkiosk, der - wie die Hyparschale am Ortsausgang von Binz in Richtung Prora - ebenfalls eine Versuchsschale war. Der Bau hat einen Durchmesser von etwa 8 Metern, wobei die überdachende Schale einem Trichter mit einer Stärke von ca. 5 cm nachempfunden ist und dessen Spitze in einem Fundament mündet, um die Kräfte abzuleiten. Er ließ nach seiner Errichtung Rückschlüsse für den Bau weiterer Trichterschalen zu. Auf dem Foto kann man - bedingt durch die gerade aufgehende Sonne - auf der rechten Seite noch im Innern den Ansatz der Form zum Trichter erkennen. Allerdings empfiehlt sich ein direkter Besuch, da ausgerechnet die Trichterform selbst durch die derzeitigen Auslagen in den Fensterflächen verdeckt werden.
Unser nächstes Ziel war an diesem begonnen Freitag das benachbarte Sellin: Der Hotelkomplex des Cliff-Hotels wurde im Jahre 1978 als Ferienheim fertiggestellt. Die in diesem Zusammenhang erfolgte Überdachung des Schimmbeckens erfolgte 1977 als Membranhängeschale und erinnert nicht nur in ihrer Form auch an einen Trichter. Da die Schalenkonstruktion keines mittigen Auflagers bedurfte, nutzte man den im Spritzbetonverfahren ausgeführten Trichter jedoch auch funktional, um das Dach zu entwässern. Ein Plexiglas-Ring ermöglicht heute die Hängeschale auch als solche wieder wahrzunehmen. Wir hatten das Glück, die Schwimmhalle bereits gegen 6 Uhr betreten zu dürfen (als noch kein Badebetrieb war) und so die Konstruktion ganz auf uns wirken zu lassen.
Bereits gegen 10 Uhr hatten wir uns im Anschluss in Borchtitz eingefunden. Hier stand eine Besichtigung - die durch Vermittlung und in Begleitung von Frau von Zydowitz-Müther möglich war - des ehemaligen "Pionierdorfes Borchtitz" an. Das Gelände befindet sich direkt am Großen Jasmunder Bodden und die Bebauung ist in einem sehr guten Zustand. Unser Hauptinteresse galt dabei dem Speisesaal des Lagers.
Bedingt durch die heutige Nutzung haben wir aus Rücksicht von weiteren Fotos Abstand genommen. Allerdings wird das Filmmaterial (welches sich auf die Architektur und Details der Ausbildung beschränkt) u.a. mit sehr schönen Außenaufnahmen später der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden können. Die Lage der Bauten ist auch heute noch traumhaft und man kann sich vorstellen, dass hier viele der Kinder, die früher das Lager besuchten, hier einst unbeschwerte Stunden erleben konnten.
Zu den fast unbekannten Schalenbauten, die auf der Insel Rügen von Ulrich Müther und seinen Mitstreitern realisiert wurden, zählt sicher das ehemalige Urlaubsrestaurant "Szczecin" (polnische Bezeichnung für Stettin). Nachdem das Seebad Binz 1950 zum "Bad der Werktätigen" von Otto Grothewohl, dem ersten Ministerpräsidenten der DDR ausgerufen wurde, spielte der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB) eine dominierende Rolle für den Urlaubs- und Erholungsort - er beherbergte und betreute hunderttausende Gäste. Die 1978 mit Schirmschalen von ca. 7 cm Schalenstärke realisierte Dachkonstruktion des vorgenannten Restaurants ist heute Teil des IFA Rügen Hotel & Ferienparks in Binz und ist noch in einem Saal in seiner Ursprünglichkeit zu entdecken.
Auch wenn der Blick auf unsere letzte Station - an diesem Freitag - dieses Streifzuges noch durch einen Bauzaun verdeckt war, so bot sich doch ein uneingeschränkter Blick von oben an. Die Eleganz und Leichtigkeit, die auch von diesem 1987 errichteten Bau mit seiner auskragenden Fläche (die sich von 15 cm auf 5 cm verjüngt) im Radius von etwa 11 Metern ausgeht, ist immer noch bestechend. Sie ist auch ein schöner Abschluß für einen der wohl bisher anstengensten Erkundungen - weniger bedingt durch die Bauwerke, die örtlich oftmals sogar nur unweit von einander entfernt sind, als durch die Planung, die im Vorfeld zum Besuch notwendig war.
Allen, die uns dies ermöglichten und damit zu den Foto- und Filmaufnahmen beitrugen, sei an dieser Stelle schon einmal vorab gedankt.
Anmerkung:
Die auf Rügen in der letzten Woche durchgeführten Filmdreharbeiten sind Teil der Vorbereitungen für eine Film-DVD mit dem Arbeitstitel "Der Landbaumeister von Rügen". Sie soll vorraussichtlich im August / September 2018 durch das Studio Hamburg Enterprises veröffentlicht werden und enthält neben historischem Filmmaterial auch eine ergänzende Dokumentation der Bauten Ulrich Müthers auf der Insel Rügen.
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