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Unser heutiger Streifzug lässt uns noch einmal einen Blick nach Göhren, auf die Halbinsel Mönchgut werfen. Einigen galt dieser Flecken einst als einer der schönsten Orte Norddeutschlands. Der Grund? Das beliebte Ostseebad lag hoch auf Bergen, hatte bewaldete steile Ufer und einen steinfreien Sandstrand. Zwei Dinge fallen Gästen zudem auch heute noch dazu ein: Die 1993 wiedererrichtete Seebrücke, von der aus ein schöner Blick auf Strand, Kurplatz und Musikpavillon möglich ist, und der Bahnhof, als Endstation der Rügenschen Bäderbahn. Doch diesen Ort macht weit mehr aus...

Noch im 19. Jahrhundert ein unscheinbares Fischerdorf, beschreibt bereits der Name "Gora" die Lage auf dem bis zu 60 Meter ansteigenden bergigen Hövt. Wann die Siedlung entstand? Wir wissen es nicht. Während die einen sich gerne auf eine Erwähnung in Bezug auf das Jahr 1165 durch den dänischen Chronisten Saxo Grammaticus beziehen, verweisen die anderen auf urkundliche Erwähnungen von 1276 und 1295. Unstrittig ist, dass nach 1168 - der Eroberung Rügens durch die Dänen - das "Land Reddevitz", welches heute in weiten Teilen der Halbinsel Mönchgut entspricht, durch Kauf und Stiftungen in den Besitz des Klosters Eldena bei Greifswald überging.  Auch wenn Mönchgut nach der Reformation 1534 an die pommerschen Herzöge fiel, so verdanken wir der langen Abgeschlossenheit den langen Erhalt und die Kenntnis von Sitten und Bräuchen, Trachten, Gerätschaften oder Häusern.

Gab es hier zunächst nur sieben Höfe und eine wüste Kate so erfolgte der Ausbau des Ortes vor allem im 19. und 20. Jahrhundert. Zunächst wurden Kleinbauern angesiedelt, so dass Göhren 1867 bereits 26 Häuser und 156 Einwohner zählte. 

Neben dem Ackerbau, ging man der Fischerei nach oder brachte seine Erfahrungen als Lotse ein. Weitere Umbrüche ließen nicht lange auf sich warten: Neben der Eröffnung von "Wendt´s Hotel" in der Friedrichstraße (1870) und dem Hotel "Brandenburg" in der Strandstraße, wird eine Poststation in Göhren in Betrieb genommen (1883). Der Ort, der sich seit 1878 "Seebad" nennt, zieht zunehmend Fremde an. Der Heimatforscher Fritz Worm schrieb dazu in seinem Buch "Der Seeräuber von Mönchgut", wo er das Leben und die Taten von Martin Looks nacherzählt:

"Zu dieser Zeit war das erste Hotel in Göhren erbaut, und der so wundersam gelegene Ort zog bald Sommergäste in hellen Scharen an, die im Schattigen Walde und am schönen sandigen Strande Erholung suchten und fanden..."

Sie kamen vor allem mit dem Zug oder Schiff, was den den eingangs erwähnten jahrzehntelangen Bezug vieler Gäste zu Seebrücke und Bahnhof erklärt: Schließlich erhielt Göhren im Jahre 1899 seinen Anschluss an das Netz der Rügenschen Kleinbahn. Daneben war Göhren zu jener Zeit bereits Anlaufpunkt der Dampfer, die eine Schiffsverbindung nach Greifswald und Stettin (respektive Swinemünde) hielten. Allerdings mussten die Reisenden zu jener Zeit noch aus- und eingebootet werden. 

Während die einen nach Göhren reisten, um die Sommerfrische zu genießen, Erholung zu finden oder die Insel zu erkunden, stellten die Fischer zu jener Zeit noch ungeschützt bei Wind und Wetter dem Hering nach. Keine leichten Bedingungen, denn so zählten Tätlichkeiten und Trunkenheit zum Alltag der Fischer. 

Wo zunächst grundverschiedene Lebenswelten aufeinander prallten, bahnte sich jedoch eine Lösung durch Adeline Gräfin von Schimmelmann (1854-1913) an, die sich redlich um eine Lösung der Gegensätze bemühte. Sie gründete ein Seemannsheim, dass man vom Südstrand aus erreichte: Es glich einem Sommerhaus, dessen größter Raum ein Wohnzimmer war, dazu - wie Otto Funke in den "Streiflichtern" der Gräfin Schimmelmann berichtet - eine kleine Küche und eine Schlafstube. Das "Daheim", ein Seemanns- und Fischerheim, richtete sich als Obdach und soziales Werk an die vielen Fischer, die bisher Tag und Nacht (im Gegensatz zum Tugger und Zeser, die über eine winzige Kajüte verfügten) in ihren offenen Booten ungeschützt der Natur ausgesetzt waren und zwischenzeitlich mit einer "Kiepe" und ihren Habseligkeiten an Land gingen, um dort in einer Scheune zu schlafen oder um Lebensmittel zu bitten. Wer den Abgesang auf die Küstenfischerei in heutigen Tagen liest, weiß, dass es in den letzten 30 Jahren an Dahinsiechens, an solchen gewichtigen Fürsprechern für die Fischer mangelte - aber: Das ist eine eigene Geschichte...

Ein schöner Ausblick über die außergewöhnliche Lage Göhrens bietet sich vielleicht vom Türmchen des "Vju Hotels", welches auch noch als "Hanseatic" bzw. "Haus Thälmann" oder "Hotel Nordpeerd" bekannt war und ist. Die Namen reflektieren bereits ein Stück weit die wechselvolle Geschichte des Hauses, welches 1882 von Martin Looks auf dem höchsten Punkt des Ortes errichtet wurde: Zunächst Hotel, dann Kinder- und schließlich Ferienheim, ist es heute wieder Hotel. 

Der Blick schweift vom Selliner See und der Granitz bei Sellin, die Baaber Heide zum Göhrener Kleinbahnhof, den Badestrand entlang, bis zur Seebrücke und über den Buhskam zum Nordperd. Südlich liegt uns die Halbinsel Mönchgut mit ihren Vorsprüngen und Einbuchtungen zu Füßen. Ihr vorgelagert sind die Inseln Ruden und Oie sowie in der Ferne das pommersche Festland. Nach Westen bietet sich ein Blick über die langgestreckte Halbinsel Reddevitz, die Insel Vilm bis hin zu den weißen Häusern von Putbus am dunkel bewaldeten Tannenberg.

Der heutige Tag lädt zu einer Wanderung ein. Unser Ziel? Das Nordperd. Vorbei am Drachenhaus, am Sturmsignal und der "Jahn-Eiche" führt der Weg immer weiter nach Osten. Die Höhen wechseln, haben eine urwüchsiger Bewaldung und bieten außergewöhnliche Aussichten. 

Hatte man im 19 Jahrhundert hier u. a. Rotbuchen und Stieleichen gepflanzt, begann man nach dem zweiten Weltkrieg mit dem Pflanzen von Eschen und Ahorn. Heute bemächtigt Efeu kletternd und kriechend dem nicht mehr von Totholz beräumten Areal.

Die nach Osten in die See ragende Landzunge ist Teil des Naturschutzgebietes Mönchgut, welches eine Fläche von 92 ha umfassen soll. Unser Blick auf die nördliche Küste gibt je nach Wellenschlag immer noch einmal den Buhskam beim Blick in Richtung Seebrücke frei. Der Historiker Johann Jacob Grümbke (1771-1849), der zu vielen der Streifzüge über die Insel anregt, schrieb dem sogenannten "Gottestein" Folgendes zu:

"Dieser Granitblock wird Bußkahn genannt, und ein vor alters gemachter verunglückter Versuch, ihn zu zerteilen, soll nach einem in eine seiner Spalten getriebenen eisernen Keil wahrzunehmen sein. Worauf der Name Bußkam, den die ehemaligen Mönche dem Stein gegeben haben sollen, hinziele, habe ich nicht erfahren können."

Und so bleibt auch hier vieles, wie die Ursachen für die vielen verschiedenen Schreibweisen und Erklärungen des gewaltigen Blocks, der im Sog der See steht, unklar. Der als größter bisher in Norddeutschland gefundener Findling geltende Buhskam gibt so viele Rätsel auf, wie die Landzunge selbst. Denn ob die Bezeichnung des Nordperds oder "Peerds", wie Grümbke beispielsweise erklärt, auf die Ähnlichkeit der Gestalt eines Pferdes als Erklärung zu einer weiteren Bezeichnung hinweist, ist ebenfalls nicht sicher - aber schön!

Wir erreichen die östlichste Spitze der Insel Rügen. Hier wo die Natur, mit der Kraft von Sturm und Wellen die Insel Stück für Stück abzutragen sucht, wurde Anfang des 20. Jahrhunderts eine gewaltige Uferschutzmauer aus Steinen errichtet und erhalten, die direkt unter uns liegt. Auch die Aussicht lässt weite Blicke zu. Sie reichen bis zur Insel Usedom und dem pommerschen Festland. Wir halten uns nun allerdings auf einem südlichen Weg zurück in Richtung Göhren. 

Wie viele andere Orte auf der Insel hat auch Göhren mit gewaltigen politischen Umbrüchen und Umwälzungen bei wechselnden Rahmenbedingungen zu tun gehabt: Die Machtergreifung der Nationalsozialisten (1933), das Ende des zweiten Weltkriegs, die Bodenreform und das Werden Göhrens als "Bad der Werktätigen" (1945) sowie die "Aktion Rose" (1953). Vieles wäre dazu zu schreiben, würde hier aber jeden Rahmen sprengen. Deshalb soll exemplarisch die Wirkung der "Aktion Rose" in Göhren angesprochen werden:  72 von 92 Gastbetrieben wurden damals beschlagnahmt worden, zudem erfolgten 57 Festnahmen.

Die Folge: Vermögensfragen, Rückübertragungen, Erbstreitigkeiten belasten noch weit nach 1989 die Entwicklung des Ostseebades. Das alles sollte jedoch in eine Zeit der "Goldgräberstimmung" fallen, die die ganze Insel Rügen und vor allem die Seebäder an der Ostküste erfasst hatte - und: Idealisten, Glücksritter sowie Spekulanten werden davon gleichermaßen angezogen...

Bereits zuvor hatte der Ort sich zur Zeit der DDR stark gewandelt. So entstand beispielsweise 1965 ein Campingplatz im Dünenwald und ab 1962 waren Urlauberdörfer an der Südseite des Göhrener Hövt entstanden. Damit war eine weitgehende Aufsiedlung bis dahin unbebauter Flächen eingeläutet worden, die bis heute anhält. Diese Entwicklung war auch mit Auseinandersetzungen in Göhren verbunden, die u. a. im Dokumentarfilm "Wem gehört mein Dorf?" angesprochen wurden. Die dabei entstandenen "Gräben" in dem Ort zuzuschütten und über seinen eigenen Schatten zu springen, dürfte die eigentliche Herausforderung für die Zukunft des Ostseebades sein. Vielleicht kann das "Lebensraumkonzept Göhren" dem Gemeinwohl mehr Gewichtung geben als Einzelinteressen. Ob es gelingt, bleibt allerdings noch abzuwarten... 

Welcher Lebensraum den Mönchgutern geschenkt wurde, sieht man beim Besuch des Speckbusches, eines Hügelrabes aus der Bronzezeit, welches sich gleich hinter der in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts errichteten Göhrener Kirche befindet. Von hier ist ebenfalls ein schöner Blick auf die Halbinsel möglich. Dieser Blick nach Süden in Richtung Lobbe und Thiessow hat übrigens auch den pommerschen Maler Caspar David Friedrich beschäftigt - er schuf Stimmungslandschaften auf Papier und Leinwand, die den Begriff der Romantik prägten. 

Das diese Idylle zerbrechlich ist, darauf machte schon ein Gast von Göhren vor über einhundert Jahren aufmerksam. Der Zeitzeuge Bruchmüller mahnte in seinen "Erinnerungen an Rügen und die Ostsee" des Jahres 1899: 

"Diese moderne Kultur zerreißt und vernichtet jeglichen Zusammenhang mit der Jahrhunderte langen, alten, ruhigen Entwicklung. Statt ihn fortzubilden, vernichtet und zerstört sie den alten Zustand, um einen ganz neuen fremdartigen an seine Stelle zu setzen. Und in diesem Prozeß erhält nicht etwa die alte Bevölkerung den Hauptanteil des Gewinnes, nein, sie wird zum großen Teile und gerade in ihrem wohlhabenderen aus der alten Heimat verdrängt. Die größeren und reicheren Bauern verkaufen ihre Stellen teuer und ziehen fort: an ihrer Stelle machen sich fremde Unternehmer breit, welche den Hauptvorteil aus dem Verkehr ziehen."

In Anbetracht dessen, zeigen die Mönchguter Museen - Heimatmusem, Museumshof, Museumsschiff "Luise" und Rookhus - das, was noch zu konservieren war und reflektieren längst Vergangenes. Und dies fand und findet unter dem Leitspruch der Lehrerin und Ehrenbürgerin des Ostseebades, Ruth Bahls (1909-1994) statt:

"Wer das Glück hat, auf Mönchgut zu leben, muss sich auch dafür engagieren." 

Ein gutes Motto für alle, die diese Halbinsel am Herzen liegt...

(Folge Muttländer!)


Was, Du kennst diese Orte nicht?

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