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Auch außerhalb des begehbaren Geländes gibt es Industriebrache

Wer eines der wenigen Großprojekte besuchen möchte, die in der pommerschen Provinz in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts realisiert wurden, dem empfiehlt sich eine Fahrt nach Pölitz. Geradezu unscheinbar wirkt dabei der Ort, den man etwa 15 Kilometern nördlich von Stettin - nach einem kleinen Wäldchen erreicht. 

Viele der kleinen Baukörper dürften ebenfalls zur Anlage gehört haben

Die Lage an der Oder legt nahe, dass es sich dabei ursprünglich um ein kleines Fischerdorf handelte. Allerdings verlieh der pommersche Herzog Barnim I. dem Flecken schon 1260 das Magdeburger Stadtrecht. Da 1321 der pommersche Herzog Otto I. die Stadt mit dem Burgwall an den Rat von Stettin übertrug, waren jedoch die Weichen nun in Richtung der pommerschen Landeshauptstadt gestellt. Die Stadt begann sich zu entwickeln und wurde schließlich von Groß Stettin 1939 eingemeindet. Schon kurz zuvor hatte man hier einen wichtigen Standort für die chemische Industrie und damit für die Hydrierwerke Pölitz (auch "Norddeutschen Hydrierwerke") gefunden. Damit zählte Pölitz als Standort zu den bekanntesten Großplanungen - neben dem KdF-Seebad Prora (1935) auf Rügen und der Stadt „X“ (1941) auf Usedom - und hatte erhielt eine hohe wirtschaftliche Bedeutung.

Kanäle für Rohrleitungen durchziehen das gesamte Gelände

Ursprünglich sollten in den Hydrierwerken Pölitz Crackrückstände und Steinkohle zu Treibstoff - oder besser: syntetischem Benzin - verarbeitet werden. Sollte jedoch keine Rohprodukteinfuhr möglich sein - was im Kriegsfall eintreten würde - so hatte man sich vorbehalten die Produktion auf Steinkohle und Teer umzustellen. Mit Zustimmung der Reichsbehörden sollte das Projekt mit Royal Dutch Shell und der Standart Oil umgesetzt werden. Allerdings wollte man in diesem Falle den internationalen Mineralölgesellschaften die Finanzierung des Projektes vorschlagen, während die I.G. Farben die Patente und Erfahrungen bereitstellen sollte.

Die klassischen Behälter aus Stahlbetonummantelung

Ende der 20er Jahre war es gelungen das Synthetische Benzin - später auch "Deutsches Benzin" genannt - aus Kohle herzustellen. Der so gewonnene Ottokraftstoff wurde zunächst nur in Leuna hergestellt und über die Deutsche Gasoline Aktiengesellschaft vertrieben. Zwar war das dazu angestrengte Verfahren der Herstellung aufwendig und damit teurer als herkömmliches Benzin, da jedoch die deutsche Erdölförderung nur 30% der Nachfrage deckte, einigte sich die I.G. Farben mit der Reichsregierung am 14. Dezember 1933 auf den sogenannten "Benzinvertrag" ("Feder-Bosch-Abkommen"). Dieses sah die Subventionierung (18,5 Pfennig / Liter) der Produktion synthetischen Benzins vor. Im Gegenzug verpflichtete sich die I. G. Farben zur Herstellung und Lieferung von bis zu 350.000 Tonnen bis Ende 1935.

Laut einer Darstellung soll es sich hier um einen Wachturm gehandelt haben

Doch zurück zu den Hydrierwerken Pölitz: Hier brachten die Eigner der Hydrierwerke letztlich 270 Mill. RM zur Finanzierung des Vorhabens auf. Die Produktion begann übrigens im Jahre 1940. Im Jahre 1943 wurden bereits 577.000 Tonnen synthetischer Kraftstoff hergestellt. Es war - wie die Tageszeitung „Neue Zeit“ 1948 rückblickend feststellte „das größte Unternehmen dieser Art in Europa“. Das Werksgelände welches trotz mehrfacher Bombardierung (lt. einiger Angaben dadurch zu etwa 70% zerstört) bis 1945 in Betrieb gewesen sein soll und deren intakte Anlagen bis zum 28. September 1946 demontiert worden sein sollen, wurde in den letzten Jahrzehnten allerdings größtenteils von der Natur zurückerobert.

Übersichtsplan zum begehbaren Teil der Hydrierwerke

Das Gelände selbst erreicht man nach ein bis zwei Kilometern nachdem man die Stadt Pöliz in östliche Richtung, der Hauptstraße folgend, durchquert hat. Bis heute erscheint das Areal, welches ursprünglich 1.500 ha umfasst haben soll, sehr weitläufig. Erkennbar ist es bereits im Vorfeld durch die Industriebrache und mehrere Ruinen und zwei Bunker, die hier unmittelbar an der Straßenzufahrt vorzufinden sind. Nach einer zunächst kleinen Erkundung, erschließt sich schon bald das Gelände, wenn man sich wieder in Richtung Oder auf eine abzweigende Nebenstraße begibt. Hier kommt schon bald ein Wendehammer. Ein Weg, der im Dickkicht von Bäumen verschwindet und dessen Zufahrt durch eine Schranke gegen Unbefugte gesichert ist, zeigt an, dass man richtig liegt.

Der Bahnhof der Hydrierwerke

Da sich überall Reste von Kanälen, Behältern und ähnlichen Bauten aus Stahlbeton befinden,  empfiehlt es sich auf den vorhandenen Wegen zu bleiben. Die zum Teil versteckt liegenden Bauteile der Hydrierwerke Pölitz sind wohl die letzten noch sichtbaren Zeugnisse, die nach der Demontage von intakten Maschinen übrig geblieben sind.

Ein Bunker unweit der Transportrampe, davor ein Mini-Bunker (liegend)

Deutlich erkennbar ist u.a. der ehemalige Bahnhof mit seiner Rampe, ein Wachturm sowie Reste von Schutzanlagen, die Kohlemühle, Behälterbauten, der Kompressorraum, mehrere Luftschutzbunker u.v.m.

Gebäude hinter dem Bahnhof, auch hier ein Mini-Bunker

Heute wird das Gebiet wird von einem Verein namens „Skarb" betreut, der sich auch um die Freihaltung der Wege auf dem ehemaligen Werksgelände kümmert. Wie in verschiedenen Publikationen zu lesen ist, werden jeden Samstag um 13.00 Uhr kostenlose Führungen angeboten. Der Vereinssitz ist übrigens ausgeschildert und befindet sich geschätzte 150 Meter vor dem Zugang zum Areal, in einem der beiden abseits liegenden Bunker.

Ein Hochhaus welches in Stahlbetonskelettbauweise neben der Mühle errichtet wurde

Wie uns berichtet wurde, hat der Verein "Skarb" im Jahre 2006 mit kostenlosen Führungen begonnen. Im Jahre 2010 wurde dann ein historisches Museum gegründet, welches die Themenschwerpunkte zur Geschichte der Stadt Pölitz, zur Alltags- und Militärtechnik. Das Gelände selbst soll als Natura-2000-Gebiet ausgewiesen sein.

(Folge Muttländer!)

(Weitere Informationen zum Verein und Museum "Skarb")

Die Mühle mit den Kohlebunkern unter denen sich die Trichter zum Weitertransport befinden


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