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Seit der Steinzeit begleitet er den Menschen als Speisefisch: Der Hering. Wobei: Besser wäre es von den Heringen zu sprechen, denn er tritt in großen Schwärmen auf und ist nicht nur für den Menschen sondern auch für die gesamte Nahrungskette und als Lebensgrundlage für Seevögel und Meeressäuger seit Jahrhunderten von herausragender Bedeutung.

Im Greifswalder Bodden haben die Heringe schon seit Ewigkeiten ihre Kinderstube. Bedingt durch sein Gehalt an Fett und Eiweiß wurden sie schnell zum "Brotfisch" und waren vor allem während der Fastenzeit als "fleischlose" Nahrung im christlichen Abendland an 140 bis 160 Fastentagen im Jahr gefragt. Ihr Fang, die Verarbeitung - durch das Ausnehmen und einsalzen (Anm.: in Vitten, wodurch auch Ortsbezeichnungen entstanden) - und ihr Handel (später wurde der Hering aus dem Greifswalder Bodden über Danzig, Königsberg und Memel bis nach Polen und Russland gehandelt) bis machte die pommerschen Hansestädte - wie Stralsund oder Greifswald, die deshalb in unmittelbarer Nähe zur Kinderstube des Herings angelegt wurden - wohlhabend. Noch heute zeugen von dieser Zeit die gewaltigen Backsteinkirchen, die umgangssprachlich "auf Heringsgräten gebaut" wurden.

Bereits vor weit über 150 Jahren beschäftigten sich auch Menschen mit dem Hering und der Erforschung seiner Kinderstube im Greifswalder Bodden. So schrieb man schon im Jahre 1863 dazu:

"...Dass aber nur der Trieb zum Laichen den Hering zur Association treibt, ersieht man unzweifelhaft aus der einfachen Thatsache, dass weitaus die überwiegende Menge der gefangenen Heringe im Frühjahr sowohl als im Herbste, und zumal zum Anfang der "Saison", stets aus Vollheringen besteht, während wenn Nahrungsmangel die Auswanderungsgesellschaften zusammenbrächte, doch jedenfalls es auffallend erscheinen müsste, dass nur die reich ernährten und von Geschlechtsstoffen am meisten trotzenden Individuen, deren Magen überdies mit zahlreichen Copepoden erfüllt ist, sich zur Aufsuchung anderer Futterplätze anschicken sollten."

In Julius Münters zitiertem Werk "Über den Hering der pommerschen Küsten" wird letztlich festgestellt, dass die Bildung der Schwärme zum Heringszug in die Kinderstube des Herings u. a. dem Zweck des Laichens und damit der Arterhaltung dient. Allerdings könne dies nicht die einzige Ursache der Schwarmbildung sein und werfe viele Fragen auf. Auch die, dass sich die Heringsschwärme unter einem Heringskönig an ihre Laichplätze begeben würden, die die Schwärme dorthin führten, wo bereits die eigene Wiege im Schatten und im Schutze des Seegrases stand. 

Heute wissen wir, dass der Hering als Schwarmfisch über besondere Fähigkeiten verfügt: Mit seinem besonders ausgeprägten Hör- und Sehsinn ist er in der Lage in Gefahrensituationen Fressfeinde rechtzeitig zu erkennen. Zudem haben Heringe eine Verbindung zwischen ihrer Schwimmblase und dem Innenohr, so dass sie sehr gut hören können. Zur Verständigung untereinander, um den Schwarm zu führen werden Geräusche erzeugt, die bis zu 10 Meter hörbar sind und von Fischern auch als "Heringsfurzen" bezeichnen werden. Es ist möglich, dass dieses Senden und Empfangen einen erheblichen Einfluss auf den Heringszug hat.

Die Vorstellung, dass die Heringe einem Heringskönig in den Greifswalder Bodden folgten, wurde durch die Küstenfischer bedient. Jedoch war der Versuch, dieser Vorstellung folgend einem dieser Heringskönige habhaft zu werden, bereits zu jenen Zeiten umsonst. Beschrieben wurden die Heringskönige übrigens als "rothgefärbter Zugführer". 

Der Heringszug, der sich mit der Reflektion des Lichts auf den Schuppen an den Küsten bei den Fischern ankündigte, wurde damals so beschrieben:

"Unter Führung eines solchen vorwiegend roth (und zwar von der Farbe des arteriellen Blutes) gefärbten Herings steigt der Stüm von den tiefgründigen Versammlungsplätzen nach den wärmer temperirten flachen Küsten, jedoch nicht oder doch nur sehr selten bis zur unmittelbaren Grenze von Land und Meer, sondern vielmehr nur nach solchen Stellen, die entweder kiesigen Grund oder hinreichend bewachsenen Boden besitzen, um bei einer Temperatur von +6 bis +7° R. ihren Laich absetzen. Kurz nach Aufgang des Eises, wo die Tiefen höchstens +4° R. Wärme besitzen, sind die Untiefen von 8` bis 12` bald auf  +6 bis +7° R. erwärmt und dies scheint die Temperatur zu sein, bei der das Laichen der Ostseeheringe zunächst stattfindet und die Befruchtung Erfolg hat..."


Bei den Untersuchungen stellte man fest, dass je höher die Temperatur steigt, desto tiefer laichen die Heringe. Beispielhaft wird angeführt, dass im Januar 1863 kein Eis mehr auf dem Greifswalder Bodden war und man wie üblich die Reusen im März aufstellte. Das Ergebnis war schlecht. Die Ursache sah man darin, dass durch das ungewöhnlich warme Wasser im Winter die Heringe in Tiefen laichen konnten, die in anderen Jahren viel zu kalt gewesen wären. Daraus schloss man, dass die Wärme des Wassers einen erheblichen Einfluss auf das Laichen und damit den Ort des Laichens (s. mittlere Hinweistafel mit einem Ausschnitt zum Thema "Vom Plankton zum Fisch" aus dem Ozeaneum) hat. 

Heute wissen wir, dass das Heringsweibchen dabei 20.000 - 50.000 Eier in küstennahen wärmeren Gewässern ablegt. Für den Greifswalder Bodden als Kinderstube des Herings würde demnach das Frieren des Boddens von erheblicher Bedeutung sein. Einem Erhalt als solche stehen Erwärmungen jeglicher Art entgegen,

Nach der beendeten Laiche, die nur wenige Tage anhält und einmal im Jahr stattfindet, und in einer Zeit, wo der furchtsame Hering von Geräuschen aller Art verschont werden möchte, zieht der Schwarm wieder in tiefere Wasser ab. Auch hierfür wurden Untersuchungen angestellt. So erreichten am 10. Juni 1856 ein großer Schwarm die Reusen von Groß Zicker, ein weiterer Teil des Schwarms konnte nur zwei Tage später in der Having bei Alt Reddevitz gefangen werden. 

Für viele entspricht der so gefangene Hering dem typischen Abbild, was man im Kopf hat, wenn man als Rüganer an einen Fisch denkt: Der 20 bis 30 Zentimeter lange Fisch hat trotz seines schillernden Schuppenkleides ein eher schlichtes Erscheinungsbild: Er ist silbern, hat große Schuppen, hat Bauch- und Brustflossen, Schwanzflosse, Afterflosse, Rückenflosse. Allerdings ist Hering auch nicht gleich Hering! Julius Münter stellt dazu klar:

"...Prüft man die Millionen von Heringen, welche von diesen Punkten Rügens aus nach Greifswald gelangen, so ergibt sich mit grösster Leichtigkeit und Gewissheit, dass die von verschiedenen Fangplätzen eingehenden Heringe unter sich verschieden sind, während ein und derselbe Fangplatz ziemlich gleichartiges Gut liefert..."

Ein geübter Blick hatte daher früher schon ausgereicht, um den Fangort des Herings vor Rügen namhaft zu machen: Während man im nördlichen Teil Rügens - an den Halbinseln Wittow und Jasmund - im Frühling nur kleine magere Heringe fing, wurden an der gleiche Stelle vom August bis September fette große Heringe gefangen. Zur Qualität wird festgestellt:

"Der westlichste Arm der Mönchguter-Halbinsel, der längste und schmalste von Nordost nach Südwest sich erstreckend, die Reddevitz genannt, wird von Heringszügen besucht, deren Individuen bei mässiger Länge wesentlich schmalrückiger als die Zickerschen sind, während der beim Dorf Babe gefangene Hering die schmalste der langstreckigen Racen aller Mönchguter Küsten darstellt. Das westlich von Babe gelegene Dorf Strehsow, am südlichen Ufer Rügens, lange Zeit Mittelhering liefernd, wird seit einigen Jahren von großen Herings-Stümen besucht, die gewöhnlich größeren Individuen führen, während die kleineren Stüme aus kleineren Individuen zusammengesetzt zu sein pflegen. Fast nur Vollhering mittlerer Größe und Dicke liefert die Wrecher Beek, an deren Fange sich drei Dorfschaften betheiligen."

Dieser kleine Rückblick in die Kinderstube des Herings ist vielleicht ein guter Grund darüber nachzudenken, welche wichtige Rolle der Hering für uns und unsere Vorfahren spielte und spielt: Er brachte Wohlstand, löste Kriege aus und war als "Brotfisch" in schlechten Zeiten Überlebenshilfe. Eigentlich ist dies ausreichend, um den Hering zu schätzen (wie es auch schon Carl Wilhelm Hahn mit seiner Lithographie im Jahre 1832 - s. unten - tat) und jeglichen Beeinträchtigung seiner Kinderstube durch Lautstärke und Erwärmungen entgegen zu treten. Bedenken wir dabei auch: Seit 2004 wird bereits ein Abschwung beim Bestand des Herings registriert. Veränderte Umwelteinflüsse sorgen dafür, dass die Larven früher als bisher schlüpfen und so wohl weniger Nahrung für sie verfügbar ist. Nach Angaben auf einer Schautafel im Ozeaneum hat sich der Bestand des westlichen Ostseeherings in den letzten 20 Jahren halbiert. 




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