Auch wenn Losentitz, jener Ort und Weiler auf dem Zudar, nur wenigen in das Bewusstsein rückt, so streifen ihn doch viele bereits, wenn sie auf einer alten Allee mit Kopfsteinpflaster zur Fähre von Glewitz fahren, um sich von ihr auf das pommersche Festland nach Stahlbrode übersetzen zu lassen.
Erstmals 1314 im Pommerschen Urkundenbuch erwähnt, ist die Bedeutung des Ortsnamens ungeklärt. Wie viele Flecken war auch dieser zunächst im Besitz des Hauses Putbus, wurde dann allerdings 1346 mit seinen 13 ½ Hufen und allen Rechten an Henning von Zernin und später - ab dem 16. Jahrhundert an die Familie von Berglase veräußert - So hieß es 1695, dass das Adelsgut Losentitz aus dem Hof des Herrn von Berglase, einem Vollbauernhof und einem Kossatenhof bestehen würde. Neben dem Namen der Familie von Löwen verbindet sich Losentitz aber vor allem mit der Familie von Dycke.
Obgleich Moritz Ulrich von Dycke dabei oft als Ahnherr bezeichnet wird, so muss man doch noch eine weitere Generation zurückgehen, denn bereits dessen Vater, der aus einem alten rügenschen Bauerngeschlecht hervor ging, war gut gebildet und wirtschaftlich sehr erfolgreich auf der Insel. Nach seiner Heirat von Esther Eleonora, der Tochter des Gutspächters Helm auf Groß Schoritz, pachtete er u. a. das Gut Lancken auf Jasmund und schließlich auch alle Spyckerschen Güter. Dann, als seine beiden ältesten Söhne jedoch zum Militär gingen, gab er diese Pachtungen nach und nach ab und kaufte 1767 das Gut Losentitz - es sollte ein folgenreicher Schritt für die kommende Generationen sein. Da er, nun schon nach etwa einem halben Jahr auf Gut Losentitz verstarb, zog dies einige Probleme nach sich: Zu jener Zeit konnte das Lehngut Losentitz nur von Lehnsfähigen besessen werden. Zwar hatten die drei den Vater überlebenden Söhne das adelige Diplom am 7. August 1769 erhalten, aber die wirtschaftlichen Grundlagen zu dessen Bewirtschaftung fehlten ihnen allen, so dass die bereits betagte Mutter das Gut weiter fortführen musste.
Aus Sicht von Moritz von Dycke (1737-1822) verdankten alle Nachkommen deshalb eben seinem Vater und seiner Mutter eigentlich ihre Grundlage. Letztere brachte mit der Tochter Magdalena das Gut soweit über die Jahre bis sie schließlich 1790 ebenfalls starb. Neben der bereits erwähnten Tochter Magdalena, die sich für den Hof aufgeopfert hatte und ebenfalls 1806 auf dem Gut Losentitz starb, gab es noch weitere 9 Kinder (von denen zwei bereits frühzeitig ihr Leben verloren hatten). Nun, nach dem Tode der Eltern lag eine Erbteilung auf der Hand. Die Aufsplittung war bei 4.000 Reichstaler - eine hohe Summe, wenn man bedenkt, dass die Eltern einmal mit 500 Reichstaler zu wirtschaften begonnen hatten.
Moritz von Dycke, der seit frühester Zeit eher eine besondere Bindung zu Kransevitz als zu Losentitz hatte, übernahm nun zwar das elterliche Gut, aber auch hier gab es eine nicht uninteressante Vorgeschichte...
Zunächst hatte er als schwedischer Husarenleutnant, dann später im Siebenjährigen Krieg und auch in Finnland gekämpft. Nicht unerwähnt soll in diesem Zusammenhang sein, dass der Graf Friedrich aus dem Hause Putbus einen erheblichen Einfluss auf seine militärische Laufbahn genommen hatte und diese sogar mit eigenem Geld beförderte. Auch hatte von Dycke einige Male das Glück bei den durchgestandenen Scharmützeln: So entging er einigen Kugeln, die tödlich hätten sein können, nur knapp - und: Der Gefangennahme durch feindliche Truppen entging er ebenso nur um Haaresbreite. Weniger Glück hatte er aber als er wieder zwischenzeitlich nach Pommern zurück kehrte - denn: Der sich nun bietende Sold reichte weder für Bediente, noch Pferd oder die kostbare Uniform. Auch der Versuch einer Gutspachtung zur Aufbesserung seiner finanziellen Mittel ging daneben, denn ein Viehsterben brachte massive Verluste. Am Ende hatte er nun nicht nur Schulden in Höhe von 2.000 Reichstalern, sondern durch weitere Verbindlichkeiten steigerten sich seine Schulden auf 6.000 Reichstaler - Das erklärt, weshalb nach dem Tod des Vaters eine Übernahme des Gutes und eine Unterstützung der Mutter oder der Geschwister nicht möglich war. Doch er hatte Glück! - Durch einen Dienstantritt in Hälsingborg ließ sich das Blatt wenden. Bedingt durch die günstigen Lebenshaltungskosten dort konnte er nach etwa zwei Jahrzehnten nicht nur die Schuld tilgen sondern auch ein Vermögen von etwa 30.000 Reichstalern ansparen. Als Generalnajor (1793) nahm er mit einer Pension von 200, später 300 Reichtalern - schließlich seinen Abschied.
Moritz von Dycke hatte schon zuvor einen damals vielleicht etwas ungewöhnlichen Weg beschritten: Um eine Weiterführung der Familie abzusichern, suchte er sich außerhalb der Ehe eine untadelige Frau, die ihm einen Erben schenken sollte. Starb das erste Kind noch kurz nach der Geburt, so sollte sie kurz darauf (1791) seinem Sohn und Erben mit dem Namen Otto Friedrich Magnus - kurz Otto - das Leben schenken. 14 Tage nach Ottos Geburt wurde er Moritz von Dyckes Schwester, der bereits erwähnten Magdalena, anvertraut. Auch seine Legitimation als Nachfolger wurde anerkannt. Dazu kam, dass der Bruder von Moritz seinem Sohn und seinen Nachkommen, das Recht auf Losentitz übertrug - allerdings wurde in diesem Zuge die Erhaltung des Gutes Losentitz als unteilbarer Grundbesitzes (Fideikommiss) beschlossen.
Nachdem die Wünsche umgesetzt waren, machte sich Moritz von Dycke daran, seinen Beitrag am Gut zu leisten und verbessert zunächst die Rindviehbestände. Die Wirtschaftsgebäude wurden in Stand gesetzt, während das Wohnhaus noch nicht neu errichtet wurde. Allerdings wurde das Gehöft von Kransevitz, welches nun zu Losentitz gehörte, weitestgehend erneuert. Gräben zur Entwässerung wurden ebenso wie Tränken und Brunnen angelegt. Daneben wurden die Stallanlagen angegangen und sogar gepflastert. Wo kein Ertrag zu holen war, wurden Gehölze angepflanzt. Insgesamt handelte es sich in Losentitz und Kransevitz um 19 Morgen Land, die aufgeforstet wurden. Zudem wurden auch in den Dörfern Wald- und Obstbäume gepflanzt, gleiches um die Höfe. Und: Hölzerne Einfriedungen wurden durch lebendige Hecken und Steinmauern ersetzt sowie über 60 Steinbrücken errichtet. Wie er selbst mitteilte, hatte ebenfalls begonnen, die Weide beim Zudar zu entwässern und auszutorfen.
Da von Dycke zwar seine militärische Laufbahn beendet, aber noch angestellt war, suchte er nun um seinen endgültigen Abschied nach und am erhielt diesen am 6. September 1806. Bedingt durch eine Erkrankung gab er schließlich das Gut für 14 Jahre zur Verpachtung an einen Verwandten ohne den freien Aufenthalt dort zu verlieren. So legte er noch in den letzten Jahren ein Bienenhaus, einen Eiskeller und ein Gewächshaus an und setzte auch die Bepflanzung weiter fort. Seine im Laufe der Jahre auf mehrere tausend Bände angewachsene Bibliothek wurde nun Teil des Fideikommiss, um seinen Nachkommen auch die Bildungsmöglichkeiten offen zu halten. Unter den Büchern befand sich beispielsweise eine der sogenannten "Barther Bibeln" - eine pommersche Bibel, die 1584 begonnen wurde und 1588 zur Ausgabe kam. Sein Enkel, Rittmeister Otto von Dycke, stiftete später (1901) Bücher der Familien-Bibliothek im Gedenken an seinen Urgroßvater an die pommersche Universität in Greifswald.
Sein Sohn Otto von Dycke hatte zunächst verschiedene Lehrer. Später ging er studieren in Göttingen. Um nicht in Konflikt mit seiner Anstellung beim Militär zu geraten, nahm auch er schließlich ebenfalls seinen Abschied. Nachdem er die Welt gesehen hatte, ging er in den öffentlichen Dienst und wurde in Stettin zunächst Referendar und dann Jurist 1806 erteilte der schwedische König Gustav IV. Adolf Otto von Dycke die Mitbelehnung von Losentitz, nachdem die Onkel - also die Brüder seines Vaters - ihm dessen Besitz schon versichert hatten. Die letzten Lebensmonate Moritz von Dycke verbrachte sein Sohn mit ihm gemeinsam auf Losentitz, wo der Vater in der Nacht vom 15. auf den 16. März 1822 von einer Magenentzündung befallen verstarb. Wunschgemäß bekam er ein stilles Begräbnis und ein bescheidenes mit Eisengitter eingefriedetes Grab auf dem Friedhof des nahen Kirchdorfes Zudar. In den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts wurde die Grablage so beschrieben: Rechts von seinem Grab war seine Mutter zur letzten Ruhe gebettet worden und zu seiner Linken sein Sohn Otto (1862-1935). Zu seinen Füßen bekam sein Urenkel Otto sein Grab. Dessen Grabplatte wurde mit dem Familienwappen verziert und zeigte an, dass die Linie erloschen ist.
Was wissen wir noch über seinen Sohn Otto von Dycke? Er heiratete Mathilde Picht (1811-1877). Wie die "Stralsundische Zeitung" berichtete, starb am 17. Juni 1838 ihre gemeinsame Tochter Clara.
Doch gehen wir noch einmal in die 1890er Jahre: Damals wurde das alte Gutshaus endlich abgetragen und durch ein neues Gutshaus aus rotem Backstein mit dunklen Ziersteinen ersetzt. Später erfolgte auch die weitere Neugestaltung des Gutes - so wurden zur Jahrhundertwende auch Wirtschaftsgebäude neu errichtet. Nach dem Tode des letzten von Dycke übernahm Armgard von Heyden-Linden das Gut bis zur Bodenreform 1945. Wie vielfach auf der Insel wurde das Gutshaus selbst nach der Enteignung dann von vielen Familien bewohnt. Nach dem politischen Umbruch 1989 wurde auch an dem Gutshaus wieder gewirkt. Allerdings kam es zum Konkurs und längeren Leerstand bevor 2009 das Gutshaus wieder in gute Hände kam. Seither hat sich einiges getan und auch das Umfeld wurde spürbar aufgewertet.
Heute ist der private Park am Gutshaus zugänglich. Ein Besuch lohnt sich auch heute noch! - Grümbke, der mit seinen Streifzügen über die Insel uns um einige Zeit voraus war, stimmt uns dabei auf diesen Flecken so ein:
"Eines dieser Landgüter, Namens Losentitz, wird Dich, als Holzfreund, interessieren, der Besitzer derselben, ein einsichtsvoller und sehr merkwürdiger Mann, hat eine große Plantage von mancherlei ausländischen Bäumen, Stauden und anderen seltenen Gewächsen angelegt, und zwar mit dem glücklichsten Erfolg..."
Heute nun lässt sich streiten, wie umfangreich diese erwähnte Plantage wirklich war und was darunter zu verstehen gewesen sein könnte. Aber: Schon der gebürtige Barther und pommersche Gartenbau-Lehrer Ferdinand Jühlke (1815-1893) zeigte sich in den 1850er Jahren beeindruckt von der Vielfalt der Gehölze.
Weil es nicht klar ist, wie der Park zu Dykes Zeit aussah, darum lässt sich auch kaum abschätzen, welchen Substanzverlust diese Anlage allerdings im 19. und 20. Jahrhundert erfuhr. Angelegt ab 1794, so kann man es nachlesen, gibt es nur noch ein Verzeichnis der Gehölze, die von seinem Sohn, dem Regierungs-Rat Otto von Dycke, selbst aufgestellt wurde. Demnach waren bis 1800 bereits 132 Gehölze, bis 1811 dann letztlich 228 Gehölze angepflanzt worden. Die einzelnen Arten wurden auch in dem Buch "Die Zustände des Gartenbaues vor 100 Jahren in Neuvorpommern und Rügen" publiziert. Dort sind auch die weiteren Apfel-, Birnen-, Kirsch-, Plaumen- Pfirsich-, Aprikosen-, Birnquitten-, Maulbeeren-, Mispeln-, Wallnuss-, Johannisbeer-, Stachelbeer-, Himbeer-, Feigen- und Weinsorten vermerkt, die vor 1820 angepflanzt wurden.
Auch in dem noch heute hinter dem Gutshaus vorhandenen Privatpark, der Gästen zu einem Besuch frei steht, finden sich zahlreiche seltene Gewächse - die, wie sie in die Landschaft gepflanzt wurden, diese auch mit ihrem Ausdruck sowie dem angelegten Teich und den einen Wasserlauf überspannenden Brücke den Park wesentlich prägen. Unweit des Teiches wurden übrigens Otto von Dyckes Foxterrier Rüden Karl und Lotte (1891-1904) beigesetzt und die Stelle mit einem Gedächtnisstein versehen. Wenn man den alten Überlieferungen glauben darf, wandelte um die Gespensterstunde eine weiße Frau - mal von einem mal von beiden der beiden Terrier begleitet - durch den Park. Auch bei Nacht - kurz vor 1 Uhr - wurde sie dann auch vor dem Gutshause gesehen und mit dem Glockenschlag verschwand sie dann. Seit vielleicht etwa 1907 soll die Erscheinung dann nicht mehr gesehen worden sein...
Sichtbar ist aber, mit welcher Liebe und Hingabe die heutigen Besitzer des Fleckens um den Erhalt des Bestandes bemüht sind. Dies wäre sicher weniger arbeitsintensiv, wenn sich nicht der Wildschaden regelmäßig einstellen würde - doch dies ist ein anderes Kapitel...
Allein ein seitliches Wirtschaftsgebäude an der Allee wartet nun noch auf seinen zweiten Frühling - dann wäre der Eindruck von dem Gut und seiner ehemaligen Anlage sicher rund. Und das bleibt zu hoffen.
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Abschließend soll an dieser Stelle auch noch an Neuhagen erinnert werden. Der Flecken, welcher auch Neuenhagen oder Niegenhagen genannt wurde, befindet sich südlich von Losentitz an der Rügenschen Küste - genauer zwischen Liner Ort und dem Gehölz Brandbohn (oder auch Franzbohn genannt). In den 1780er Jahren durch Moritz von Dycke neu angelegt. Der Ort hieß auch nach dem Gründer schlicht Moritzhagen. 1835 kam Grümbke zu der Aussage, dass es sich dabei letztlich nur um einen Bauernhof handelte, in dem 1867 gerade 11 Einwohner gezählt wurden.
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