Dieser Streifzug liegt schon einige Zeit zurück. Wir wurden vor ein paar Jahren das erste Mal von Burkhard Perleberg auf den Piekberg, mit 161 die höchste Erhebung der Insel Rügen, begleitet. Der Hagener, der auf der auf der dem Ortskern vorgelagerten Holzkoppel beheimatet ist, führte uns damals zunächst vorbei an den Hinterlassenschaften einer Stellung, die als Teil der Stellung „Rübe“ bekannt war und dann zum besagten Piekberg. Auch hier fanden sich damals einige Fundamente, die noch von der militärischen Nutzung des höchsten Berges der Insel zeugten.
Doch was hat es nun alles damit auf sich? - Und: Warum ist dieses Kapitel der Inselgeschichte weitgehend unbekannt, obgleich sich deren Spuren immer noch am und um den Piekberg finden lassen?
Also machten wir uns noch einmal auf die Spurensuche (oben: Fundamentplatte der Stellungszentrale / unten: Löschteich) . - Wie wir nun von Burkhard Perleberg erfuhren, befand sich am Piekberg bis in die letzten Tage des zweiten Weltkriegs eine Y-Jägerleitstation mit dem Tarnnamen „Rübe“. Das weckte natürlich unsere Neugier an dem Geheimnis vom Piekberg und wir hatten gleich mehrere Fragen: Was ist überhaupt eine Jägerleitstation? Wie kam es zur Errichtung dieser militärischen Anlage? Und: Warum wurde sie ausgerechnet hier geplant?
Gemeinsam machten wir nun zur Klärung eine Wanderung in das Umfeld (unten: Abwasserschacht) des Piekbergs und später auch noch einen Abstecher zum Friedhof, unweit von Hagen. Zuvor aber, führte uns Burkhard Perleberg erst einmal in das Thema, welches heute kaum noch bekannt ist, ein...
So erzählte uns Burkhard Perleberg, dass nach der verlorenen Luftschlacht gegen England, im 2. Halbjahr 1940, die Luftverteidigung des Deutschen Reiches aufgebaut wurde. Dazu bedurfte es auch eines Fernführungssystems für die ein- und zweimotorigen Jäger, also eine Leitstation zur Lenkung der Flieger. Das sogenannte „Y-Jägerleitverfahren“ (unten: Prinzip-Zeichnung - Auszug aus der Quelle: "Handbuch für Hochfrequenz- und Elektrotechniker", II. Band, S. 521) galt ab Herbst 1943 als "zum Einsatz klar". Ab diesem Zeitpunkt konnten neben einem Sprachband von maximal 2.600 Hz auch – auf einem 2. Kanal – ein für den Piloten unhörbarer zusätzlicher Ton von 3.000 Hz übertragen werden. Dieser von der Bodenstelle erzeugte und übertragene Ton von 3 Sekunden wurde vom Flugzeug empfangen und auf einer anderen Frequenz wieder abgestrahlt, so dass es der Bodenstelle möglich war, dieses wiederum zu messen und damit die Entfernung des Fliegers zur Bodenstelle und auch die Richtung zur Bodenstelle – die Höhe über dem Boden meldete der Pilot - zu peilen, wodurch die Leitstationen die Jäger an die Bomberverbände, die deutsche Städte im Visier hatten, heranzuführen.
Die Stellung „Rübe“ auf Jasmund (unten: Streifenfundamente, unweit des Baumhauses Hagen) war aber nur eine von vielen Y-Jägerleitstationen, die an Nord- und Ostsee aufgebaut worden waren und später schachbrettartig das ganze Land überziehen sollten - in Hinterpommern gab es noch die Station „Stoppelrübe“ und bei Stettin die Station „Sellerie“.
Zunächst war dazu ein kleines Vorauskommando von etwa 20 Soldaten bei Hagen aufgetaucht. Sie wurden zunächst in einer Baracke, die auf dem Sportplatz vor der Schule 1942 errichtet wurde, einquartiert.
Ihre Aufgabe bestand zunächst darin, die genormten und vorgefertigten Baracken aufzubauen. Errichtet wurden von Maurern auch Stellungszentrale, Kompaniegefechtsstand – die etwas abseits lagen - und die Fundamente für die fünf Sende- und fünf Empfangstürme. Dann wurden durch Zimmerleute die Türme errichtet (oben: ein zerstörtes Absperrfundament, unweit vom Baumhaus Hagen / unten: Burkhard Perleberg vor einem der noch intakten Abspannfundamente, unweit des Baumhauses Hagen, die für die Türme errichtet wurden). Im Anschluss daran führte die Firma Siemens die umfangreiche Verdrahtung zwischen Stellungszentrale und den zehn Türmen durch. Zudem wurde die neue Stellungszentrale über Fernleitungen der Reichspost mit dem Großgefechtsstand verbunden.
Personell lösten nach den ersten Funktionstests Schülerinnen, die als Nachrichtenhelferinnen dem Reichsarbeitsdienst (RAD) unterstellt waren und einen 3-wöchigen Lehrgang absolviert hatten, die Nachrichtenhelferinnen der Luftwaffe ab.
Diese bezogen in der autarken Einrichtung der Station „Rübe“, an deren Überresten wir schon zuvor vorüber gekommen waren und von denen auch nach Wasserschächte zeugen. Sie verfügte über neben der Stellungszentrale sowie den Unterkunfts- und Wirtschaftsbaracken auch sanitäre Anlagen und Vorratslager. Dazu gab es auch eine Löschwasserzisterne und eine Kläranlage. Der Unterstand bzw. Schutzbau war etwas abseits, in Richtung der Sende- und Empfangstürme angelegt worden. Wie wir heute aus alten Unterlagen wissen, war der Chef der Jägerleit-Kompanie (63 887) bei der Station „Rübe“ Hans Schmitz (1.4.1943).
Überreste der Jägerleitstation lassen sich heute – wie bereits erwähnt - noch ebenso ausfindig machen, wie besagte Schächte oder der Standort eines Flugmeldegerätes, welches in Hagen die Peilung sämtlicher Luftziele in einer Reichweite von bis zu 200 km zuließ und am Waldrand der Stubnitz, ebenfalls bei der Holzkoppel (Foto oben: Fundamentreste, unweit des Parkplatzes von Hagen) errichtet wurde.
Auch die Reste des zuvor erwähnten Unterstands (Foto oben) zeichnen sich, bei genauem Hinsehen, noch leicht in der Landschaft ab. Auf den Standort der östlich der Jägerleitstation „Rübe“ befindlichen Heinrichstürme weisen zudem noch einzelne Fundamente am Piekberg hin. Die Türme selbst sind wohl nach dem 6. März 1945 abgebaut worden.
An diesem Tag erfolgte damals der Bombenangriff auf Sassnitz. Eher unbekannt dürfte allerdings sein, dass auch die Jägerleitstation „Rübe“ getroffen wurde, weshalb sich auch um den Piekberg Bombentrichter (Foto unten: Kleine Bombentrichter an der Stellungszentrale) – u. a. östlich des Piekbergs in Richtung der "Kampnings" (jetzt vernässte Wiesen) - in der Landschaft zu finden sind, in die ein Einfamilienhaus passen könnte.
Die als Nachrichtenhelfer und -innen eingesetzten Jugendlichen fanden mit ihrem Vorgesetzten den Tod. Sie wurden auf dem bereits erwähnten Friedhof bei Hagen beigesetzt. Früher ging vom Ortsausgang in Richtung Nipmerow, linker Hand ein Weg zu Friedhof und Kapelle. Heute wird der Friedhof selbst Nipmerow und damit der Gemeinde Lohme zugerechnet. Dort finden wir auch noch eine Erinnerung an die Opfer dieses Bombenangriffes. Auf einer Tafel unter einem Kreuz steht:
"AUF DIESEM GRÄBERFELD RUHEN
BERGEMANN HELGA *4.6.1924 +6.3.1945
EHLERT URSULA * 19.8.1926 +6.3.1945
HOLZ ANNI *9.10.1926 + 6.3.1945
KNOB HANS *3.7.1923 + 6.3.1945
STAPELMANN ELISE *2.4.1926 + 6.3.1945
MIGGE HERTHA *13.3.1926 + 6.3.1945
UEBERSCHÄR EMILIE *29.3.1923 + 6.3.1945
ZILLMANN HEINZ *29.11.1923 + 6.3.1945"
Links, seitlich davon, steht noch eine kleine Tafel auf einer extra markierten Grablage, auf der wohl die Familie noch an die einzige Schwester "Medi" - gemeint war Emilie Ueberschär - erinnert wurde, die in Oppel (Schlesien) geboren worden war.
Diese letzten Ruhestätten sollten, wie der Piekberg, die Lebenden mahnen und an das Leid erinnern, welches sich mit Kriegen verbindet - wofür und gegen wen sie auch immer geführt werden. Vielleicht gelingt es schon bald dort ein entsprechendes Zeichen zu setzen.
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